KINO IM KOPF
“Wenn ich mein authentisches inneres Verlangen auszudrücken scheine, ist das, „was ich will”, mir immer schon von der patriarchalischen Ordnung auferlegt worden, die mir sagt, was ich begehren soll. Die erste Bedingung für meine Befreiung ist es also, aus dem Teufelskreis meines entfremdeten Begehrens auszubrechen und zu lernen, mein Begehren auf autonome Weise zu formulieren.“ Diese Inkonsistenz unseres Begehrens voll und ganz zu akzeptieren, voll und ganz zu akzeptieren, dass es das Begehren selbst ist, das seine eigene Befreiung sabotiert, ist die bittere Lektion von Lacan.
(Slavoj Zizek)
Das heißt (und darauf kommt man immer wieder zurück), der Traum eines wachen Menschen, eines Menschen, der weiß, dass er träumt, und der deshalb weiß, dass er nicht träumt; der weiß, dass er im Kino ist, der weiß, dass er nicht schläft: Wenn nämlich ein Mensch, der schläft, ein Mensch ist, der nicht weiß, dass er schläft, dann ist ein Mensch, der weiß, dass er nicht schläft, ein Mensch, der nicht schläft.
(Christian Metz, Traum und Film)
Im Anschluss an die in den vergangenen zwei Semestern im Rahmen von “Liebe – Eine Übung” behandelten Themen verschiebt sich nun in der Veranstaltungsreihe “Kino im Kopf” der Schwerpunkt von Fragen der Ökonomie des Begehrens und der Konstruktion und Produktion von Gefühl an der Schnittstelle von Performativität, Theater und Bildender Kunst zum Thema des Verhältnisses von Psychoanalyse, Film und Filmtheorie.
“Der Beginn der Filmindustrie”, schreibt Mechthild Zeul[1], ”liegt im ausgehenden 19. Jahrhundert. 1900 dreht Georges Méliès seine Serie phantastischer Filme; im gleichen Jahr veröffentlicht Freud seine Traumdeutung.” Somit ist die Verbindung von Psychoanalyse und Film bereits unauflöslich in einem historischen Datum festgeschrieben – trotz Sigmund Freuds kritischer Haltung dem Kino gegenüber, der nicht nur das Angebot, als Berater des Regisseurs von Geheimnisse einer Seele, G. W. Pabst, an der Produktion des Films mitzuwirken, sondern auch Sam Goldwyns Vorschlag, gegen ein beträchtliches Honorar ein Drehbuch zu einem Liebesfilm zu verfassen, kategorisch ablehnte.
Das Interesse der Psychoanalyse an Filmen und an der Geschichte des Kinos ist neueren Ursprungs, während die Filmtheorie (im Besonderen die feministische Filmtheorie) von Beginn an auf psychoanalytische Begrifflichkeiten, Verfahrensweisen und Erzählformen – sowohl in freudianischer, was die amerikanische feministische Filmwissenschaft angeht, vor allem aber in lacanianischer psychoanalytischer Tradition – zurückgegriffen hat.
“Im Zentrum der Hypothesen der in Freud’scher Tradition stehenden psychoanalytischen Filmtheoretiker steht die Annahme einer strukturellen Ähnlichkeit von Traum und Film, (…), während andere Autoren die Situation des Zuschauers im dunklen Kinosaal – relative Unbeweglichkeit, Anonymität und Ausgeschlossenheit von den Stimuli der Außenwelt – für die Erklärung der Herstellung regressiver traumähnlicher Zustände heranziehen. Darüber hinaus wird der Filmtechnik die Möglichkeit zuerkannt, die Realitätsprüfung der Zuschauer zu lockern und regressive Prozesse auszulösen.” (Zeul) Aber auch Übertragungs- und Identifikationsprozesse zwischen Publikum und Filmfiguren, geschlechtsspezifische Blickkonstruktionen und Repräsentationstheorien spielen im Rahmen filmtheoretischer Reflexionen eine bedeutende Rolle.
Die Veranstaltung befasst sich einerseits mit dem Versuch einer Nachzeichnung der Geschichte unterschiedlicher, zwischen freudianischen und lacanianischen Ansätzen operierenden psychoanalytischen Filmtheorien; parallel dazu werden Filme präsentiert und analysiert, die sich auf psychoanalytische Verfahren stützen, oder aber das psychoanalytische Verfahren selbst zu einem wesentlichen Element der filmischen Narration machen (Geheimnisse einer Seele, G.W.Pabst 1926; Spellbound, Alfred Hitchcock 1945; Vertigo – Aus dem Reich der Toten, Alfred Hitchcock 1958). Auch zeitgenössische Beispiele wie die zwischen 1997 und 2006 entstandene Trilogie von David Lynch (Lost Highway – Mullholland Drive – Inland Empire), werden unter dem Aspekt des Einflusses der Psychoanalyse auf die filmische Erzählung, die dramaturgische Logik und die narrative Konstruktion untersucht. Nicht zuletzt wird ein Bezug zu zeitgenössischer Bildender Kunst hergestellt, indem Arbeiten von KünstlerInnen besprochen werden, die sich auf unterschiedliche Weisen mit dem Komplex der Psychoanalyse in der Geschichte des Kinos und der Kunst auseinandersetzen. Dies reicht von Werken wie Ouverture und The Sandman des kanadischen Künstlers Stan Douglas über die Arbeit Two Impossible Films von Mark Lewis; und nicht zuletzt wird mit der Präsentation einer Arbeit der deutschen Künstlerin und Filmemacherin Angela Melitopoulos eine Verbindung zur antipsychiatrischen Bewegung der Sechzigerjahre in Frankreich hergestellt: die zuerst auf der Berlinale 2010 präsentierte filmische Installation Assemblages, die in Zusammenarbeit mit Maurizio Lazzarato entstand, beschäftigt sich mit dem französischen Psychoanalytiker, Philosophen und Co-Autor von Gilles Deleuze, Félix Guattari und seiner revolutionären psychiatrischen Praxis, seinem politischen Engagement, seine Vorstellungen über “ecosophy” und seinem Interesse am Animismus vor allem im brasilianischen und japanischen Kontext.
Das Denken Jacques Lacans wird – vermittelt durch die Interpretation und Analyse Slavoj Zizeks – versuchsweise und im Ansatz ebenso vermittelt, wie die Filmanalysen und Theorien des Begehrens, die Zizek selbst in den vergangenen zwei Dekaden in immer wieder neuen Versionen hervorgebracht hat. Diese Veranstaltung wird im Sommersemester 2011 fortgesetzt.
To elaborate the role of fantasy, the crucial thing is to secure the elementary distincition (which is too often collapsed) between the object of desire and the object-cause of desire. The object of desire is simply the desired object: let’s say, in simple sexual terms, the person whom I desire. The object-cause of desire, on the other hand, is that which makes me desire this person. And the two are not the same. Usually, we are not even aware what was the object-cause of desire – it requires psychoanalysis to learn what, for example, made me desire this particular woman. This is something along the lines of what Freud already called the unary feature (der einzige Zug, le trait unaire) – and on which Lacan later developed a whole theory: i. e. some feature which triggers my desire in the other. (Glyn Daly, Conversations with Zizek)
[1] Mechthild Zeul, “Bilder des Unbewussten. Zur Geschichte der psychoanalytischen Filmtheorie”, in: PSYCHE. Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen. 48. Jahrgang, November 1994.